Obwohl schon der 11. Mai ist sind vier Kokons der Rostroten Mauerbiene (Osmia bicornis) immer noch nicht geschlüpft. Möglicherweise sind die Insassen ja verstorben, aber mein Biologenherz hofft auf eine wesentlich interessantere Alternative, ein Befall mit parasitischen Wespen, möglicherweise Erzwespen.
Um diese Hypothese zu überprüfen, ist ein kleiner Eingriff erforderlich. Ganz vorsichtig, um eine eventuell doch im Inneren befindliche Mauerbiene nicht zu verletzen öffne ich den Kokon an der Spitze mit einem chirurgischen Präzisionsinstrument - meiner Nagelschere. Die gebogene Klinge ist alles andere als geeignet. Glücklicherweise taucht aus den Tiefen meiner Erinnerung das verschwommene Bild meines Präparationsbesteckes auf, dass seit dem Studium noch immer in den düsteren Tiefen irgendeiner Schublade schlummern müsste. Nach längerem Suchen werde ich tatsächlich fündig, und mit Pinzette und schmaler Schere verläuft die Operation gleich deutlich einfacher.
Leider bin ich etwas außer Übung. Beim letzten Schnitt, der das freigelegte Chitinfenster völlig abgetrennt, rutscht mir der Kokon aus den Fingern und plumpst einige Zentimeter auf die Tischdecke. Meine Hypothese hat sich als richtig erwiesen, der Kokons ist randvoll mit knackigen, perlweißen Maden. Eine Meise wäre hellauf begeistert.
Beim Aufprall auf die Tischdecke werden etliche der Wespenlarven aus dem Kokon katapultiert, Airbags waren bei der Konstruktion von Mauerbienenkokons von der Evolution bisher noch nicht vorgesehen. Ein echtes Manko. Mist, ist mehr wirklich peinlich, Papa besorgt euch gleich ein Aspirin! Nachdem das Unglück nun schon mal passiert ist, lassen sich die Larven problemlos zählen. Ich hätte höchstens 15 Stück geschätzt, es sind aber exakt doppelt so viele. Klaustrophobie können sich Wespenlarven offensichtlich nicht leisten.
Vorsichtig befördere ich die Larven mit der Pinzette wieder zurück in die Kokonhülle. Auch wenn jetzt keine Nahrung mehr zu sich nehmen - von der Mauerbiene ist schließlich kein Krümel mehr übrig - ist ihre Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Im Idealfall kann ich auch noch die Puppen und die fertig entwickelten Wespen, die ab Juni schlüpfen, fotografieren. Die verbleibenden drei Kokons lasse ich ungeöffnet, hier sollten sich die Larven als auf alle Fälle normal entwickeln. Biologie ist immer wieder so unglaublich spannend!
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