Alte Bäume besitzen eine Ausstrahlung, die eine magische, mystische Komponente enthält. Es sind Wesen, deren Lebenszyklus unser Verständnis von Zeit komplett sprengt, Lebewesen die den unablässigen Zyklus der Jahreszeiten auch dann noch durchlaufen werden, wenn bereits jede Erinnerung an uns selbst verblasst ist. Haben sie ein Bewusstsein? Wie nehmen Sie Ihre Umwelt wahr, registrieren Sie Eintagsfliegen wie uns Menschen überhaupt? Ich weiß es nicht, aber ihre zentrale Rolle in Mythen, Sagen und zahlreichen Naturreligionen dokumentiert zumindest die enge emotionale Bindung, die viele Menschen zu diesen Baum-Methusalems aufbauen. Ihr Anblick erfüllt mich mit Ehrfurcht, Freude und kindlichem Staunen. Einem jener Giganten „Auge in Auge“ gegenüberzustehen ist- zumindest für mich - eine der emotional intensivsten Naturerfahrungen überhaupt. Die Eibe von Crowhurst war daher für mich der absolute Höhepunkt auf der diesjährigen Naturgartenexkursion „Go Wild, 2014“.
Das Alter der Eibe dürfte zwischen 1000 und 1500 Jahren liegen. Da fast alle Eiben im hohen Alter komplett hohl sind, wäre eine Zählung der Jahresringe nur mithilfe einer Kristallkugel möglich. Bei der Radiocarbonmethode (C14-Bestimmung) muss das untersuchte Objekt abgestorben sein. Erst mit Eintritt des Todes stoppt die Aufnahme des radioaktiven C14-Isotops, die Messung des Zerfalls, bzw. der Restmenge der bereits im Zellgewebe eingelagerten Isotope gibt dann Auskunft über das Alter der Probe. Immerhin wurde der Umfang des Baums in einer klar definierten Höhe (1,20 bzw. 1,50 m) regelmäßig gemessen, die ersten Aufzeichnungen stammen aus dem Jahr 1630 (9,15 m). Im Jahr 2006 betrug dieser Umfang beachtliche 10 m. Zwischen 1840 und 1999 betrug die jährliche Zuwachsrate lediglich 0,3 cm. Aus der durchschnittlichen Wachstumsgeschwindigkeit lassen sich zumindest grobe Rückschlüsse auf das Alter ziehen.
Um Raum für ein Tisch und eine Bank mit Sitzplätzen für zwölf Personen zu schaffen wurde die bereits teilweise hohle Eibe 1820 künstlich weiter ausgehöhlt. („The trunk was foolishly enlarged“ , „The inside of the tree has been barbarously hollowed out“). Einen derartigen Akt der Barbarei zu kommentieren, erübrigt sich wohl vollkommen. Eingewachsen im Holz wurde eine Kanonenkugel entdeckt, die vermutlich im englischen Bürgerkrieg 1643 dort gelandet war. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Türe eingebaut. Ungeachtet ihres hohen Alters besitzt die Eibe auch heute noch eine gesunde, grüne Baumkrone und wird uns wohl alle problemlos überleben.
Unglücklicherweise stand für eine derart fantastische Begegnung nur ein Zeitfenster von 30 Minuten zur Verfügung, der absolute GAU für jeden Fotografen. Dem Baum mit Achtung und Respekt zu begegnen oder gar eine emotionale Beziehung zu ihm aufzubauen kann man unter derartigen Rahmenbedingungen getrost vergessen. Diese Vorgehensweise erinnert an die plumpe Dreistigkeit der Paparazzi, mit Fotografie hat das absolut nichts mehr zu tun. Ein solches Gebirge von einem Baum muss man in Ruhe auf sich wirken lassen können, dieser Dialog ist zwar etwas einseitig aber dennoch ungeheuer befriedigend. Ich hoffe, ich habe die Gelegenheit irgendwann zurück zu kommen um diesen uralten Wesen die Achtung zu zollen, die es verdient. An den Fotos mag sich für einen außenstehenden Betrachter nur wenig ändern, für mich ist dieser Unterschied in der Vorgehensweise aber ganz essenziell. Das war echt rüpelhaft. Sorry, meine liebe Eibe, ich werde versuchen es wieder gut zu machen!
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