Nachdem der erste Anlauf nicht so ganz die gewünschten Ergebnisse erbracht hatte, starte ich heute einen weiteren Anlauf. Völlig neue, geniale Strategie, ich bin ja lernfähig. Diesmal wähle ich eine einzelne Flockenblume aus, die für die nächsten paar Stunden das Objekt meiner Begierde bleiben wird. Von Blume zu Blume zu hoppeln wie ein durchgeknalltes Kaninchen hat sich beim letzten Mal nicht sonderlich gut bewährt. Jetzt kann ich das Stativ verwenden, was die Sache deutlich erleichtert. Bei locker gestelltem Kugelkopf lässt sich die Kamera weich bewegen, ohne dass ich ständig ihr volles Gewicht halten muss. Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar, aber diese Ära ist längst in den grauen Nebeln der Uhrzeit versunken. Etwas Bequemlichkeit ist in meinem Alter durchaus legitim und Weicheier leben deutlich länger als strahlende Ritter in schimmernder Wehr.
Da ich mehrere Stunden an der gleichen Stelle bleibe, kann ich mich diesmal auch um den Hintergrund kümmern, den ich bei den Freihandschüssen vom letzten Mal komplett ignoriert habe. Häufig ist man viel zu sehr auf das Hauptmotiv fixiert, um den Hintergrund im Auge zu behalten. Beim Anblick des Fotos bricht man dann prompt in Tränen der Verzweiflung aus. Dürre Halme, die sich auf dem Bild als helle störende Streifen abzeichnen, reiße ich daher gleich zu Beginn konsequent aus. Vermutlich verstoße ich damit gegen zwei Dutzend Paragrafen des Ehrencodes der Makrofotografie und handle zutiefst verwerflich. Zur Strafe werde ich dafür in der untersten Fotografenhölle schmoren und 1000 Jahre lang rotglühende Dias von Einkommensteuerformularen sortieren. Im Moment habe ich einfach genug technische Probleme, um mich auch über den Hintergrund zu ärgern. Basta!
Da selbst eine tausendstel Sekunde die Flugbewegung teilweise nur unbefriedigend eingefroren hat, verkürze ich diesmal auf 1/1500. Hektische Viecher! Um wenigstens auf eine Blende von 6,7 oder 8 zukommen schraube ich die ISO-Zahl auf beängstigende 1000 hoch. Noch vor wenigen Jahren hätte man sich mit dieser Einstellung ein derart “lautes“ Luminanz-und Farbrauschen eingehandelt, dass die Niagarafälle im Vergleich wie der Kampfschrei einer Miesmuschel geklungen hätten. Moderne Spiegelreflexkameras haben inzwischen selbst im hohen ISO-Bereich ein Rauschverhalten, das nahezu an ein Wunder grenzt. Lassen wir uns also überraschen.
Bei der Wahl des Autofokusbereichs entscheide ich mich diesmal nicht für einen einzelnen zentralen Punkt, sondern für die Neunergruppe in der Bildmitte um der Bewegung der Insekten besser folgen zu können. Autofokusmodus auf AlServo und die schnellste Serienbildfunktion mit sieben Bildern pro Sekunde und dann kann es endlich losgehen.
Den Dornigen Hauhechel vermeide ich diesmal wohlweislich. Wenn man ihn einmal registriert hat, sind seine zarten Blüten eigentlich nicht zu übersehen. Sehr viel unauffälliger sind dagegen die Rosetten der Gemeinen Katzdistel, deren Stacheln sich kontakthungrig und freudig in meine Kniescheiben bohren. Geistige Notiz: Für die nächste Fotosession die Schienbeinschoner eines Eishockeytorwarts organisieren!
Zunächst sieht es aus als würden sämtliche Insekten MEINE Flockenblume mit Verachtung strafen. Rings um mich wuselt, summt und brummt es, auf meinen Blüten sitzt lediglich eine verwaiste Blattlaus die Däumchen – Pardon: Tarsen - dreht. Nach einigen Minuten fällt mir ein lieblicher Duft auf, der sich impertinent in meine Nasenlöcher drängt. Derartige Wohlgerüche sind meist auf Cadaverin und Putrescin zurückzuführen, klassische Amine die bei der Zersetzung von Protein entstehen. Quelle dieser olfaktorischen Hymne ist ein zierliches und ausgesprochen totes Mäuschen. Mausetot sozusagen! Eine Armada von Ameisen ist emsig dabei den Nager in transportable Portionen zu zerlegen. Wahrscheinlich zweifeln sie jetzt keine Sekunde mehr an der Existenz eines wohlwollenden Gottes.
Als ich mein Blick wieder der Flockenblume zuwende, sitzt dort eine kapitale Hummel. Sch***, du hättest ja auch etwas sagen können! Ich hechte zur Kamera und feuere die erste Salve ab. Treffer! Bei sieben Bildern pro Sekunde bekomme ich mit etwas Glück ein bis drei Aufnahmen von der Flugphase, mit sehr viel Glück liegt die Schärfe auf dem Punkt. Das macht sie allerdings nur in Ausnahmefällen. Wieder weht ein leichter Wind, der dem Autofokus in regelmäßigen Abständen Panikattacken beschert. Nach wie vor habe ich nicht den leisesten Schimmer, wann ein Insekt abfliegt. Manche betrachten den Blütenbesuch als meditative Übung und heben erst nach 1 Minute wieder ab, andere bereits nach 5 Sekunden. Wäre hier ein klein wenig Kooperation wirklich zu viel verlangt? Linkes Bein kurz vor dem Abflug abheben, oder so? Kein Mensch nimmt hier Rücksicht auf die Seelenqualen eines Fotografen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund landen auf meiner Blüte fast ausschließlich Honigbienen, nicht die eigentlich gewünschten Hummeln.
Die Stunden verstreichen. Nach jeder Serie kontrolliere ich die Fotos auf dem Display ob ich die Flugphase erwischt habe, der Rest wird sofort wieder gelöscht. Häufig sind das 100 %. Im Verlauf der 5 Stunden dürfte ich so an die 1000 Bilder verbraten haben. Mit analogem Filmmaterial wäre eine solche Vorgehensweise völlig absurd und ein finanzielles Desaster gewesen.
Die Methode mit dem Stativ bewährt sich, diesmal ist die Ausbeute drastisch höher. Als Ausbeute des Tages überleben sechs Bilder in eine Qualität die mich beim Betrachten zufrieden schnurren lässt.
Na also, geht doch! :-)
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