Die im Holz gespeicherten Nährstoffe werden durch die Tätigkeit der Pilze und Insekten nach und nach freigesetzt. Die Pilze selbst produzieren dabei Zucker, Stärke und Proteine,
die wieder von anderen Mikroorganismen genutzt werden. In den Insektenfraßgängen reichern sich Kot, abgestorbene Larven und Puppen an und liefern zusätzlichen „Dünger“.
Durch die erhöhte Lage und das Fehlen von Aufwuchs entstehen behagliche „Natursolarien“ für die Baumkeimlinge. Die Stämme isolieren den Keimling im Frühjahr gegen die Bodenkälte,
das Holz erwärmt sich rasch, daher schmilzt der Schnee ca. zwei Wochen früher als im unmittelbaren Umfeld. Die Vegetationsperiode für den Keimling wird dadurch verlängert. Die Anfälligkeit für
einen Befall mit dem Schwarzen Schneeschimmel (Herpotrichia juniperi), ein gefürchteter Schadpilz an Fichten auf schattigen, feuchtkalten Standorten
ist daher deutlich geringer.
Dicke Stämme und Baumstümpfe speichern in ihrem schwammigen Holz große Mengen Wasser, beim Abbau durch Mikroorganismen wird Wärme frei, dadurch entsteht insgesamt ein sehr
günstiges, stabiles Mikroklima. Baumstümpfe und starke Stämme benötigen oft Jahrzehnte bis zu ihrer völligen Zersetzung, für diesen Zeitraum liefern sie relativ stabile
Bedingungen. Auch in unmittelbarer Nähe von Totholz sind die Wuchsbedingungen für einen Keimling günstig, Feuchtigkeit und Nährstoffgehalt sind erhöht, der Keimling ist besser vor Verbiss
geschützt.
Auf vermodernden Stämmen entwickeln sich Fichte, Tanne, Arve und Vogelbeere besonders erfolgreich. Der Konkurrenzdruck durch Gräser, Farne oder Stauden liegt in der exponierten Lage praktisch bei Null, der Keimling leidet eher unter einer gewissen Vereinsamung auf seinem Moderstamm.
Vor allem in den Hochlagen der Gebirgswälder mit einer starken, krautigen Konkurrenzvegetation, spielt die Naturverjüngung auf Totholz eine entscheidende Rolle. In den Höhenlagen des Nationalparks Bayerischer Wald bildet das Land-Reitgras (Calamagrostis epigejos) durch Wurzelausläufer geschlossene Bestände. Wer versucht in diesen filzigen Grasmatten zu keimen, kann getrost alle Hoffnung fahren lassen, die Überlebenschance liegt praktisch bei null.
Der Anteil der sogenannten Rannenverjüngung (Ranne = liegendes Totholz) beträgt hier fast 100%. Häufig stößt man auf Gruppen von Bäumen, die schnurgerade in einer Reihe stehen und daher wie angepflanzt wirken. Das liegt nicht am Ordnungswahn eines Försters, sondern an dem in der Zwischenzeit schon längst vermoderten Baumstamm, auf dem diese Bäume vor vielen Jahrzehnten gekeimt haben.
Auch die krakenartig geformten Stelzwurzeln vieler Fichten sind ein typisches Ergebnis dieser Rannenverjüngung. Die Wurzeln des jungen Bäumchens durchdringen das Totholz bis sie den Boden erreichen. Nach und nach werden immer dicker bis sie irgendwann das Gewicht des Baumes tragen können. Nachdem das Totholz völlig zerfallen ist, entsteht ein auffälliger Freiraum zwischen den Wurzeln.
Eine ideale „Kinderstube“ für Baumkeimling sind auch die nach einem Windbruch entstehenden freiliegenden Rohböden im Bereich der aufgeklappten Wurzelteller. Zusammenfassend trägt Totholz ganz entscheidend zu einer erfolgreichen Naturverjüngung des Waldes bei. Aus chaotischen Windwurfflächen entsteht im Verlauf weniger Jahrzehnte ganz von selbst ein stabiler junger Mischwald. Wer im Nationalpark Bayerischer Wald auf dem sogenannten „Seelensteig“ durch die Windwurf- und Borkenkäferflächen aus den 80er Jahren wandert, wird sich der Freude über den dort entstandenen „Urwald“ nur schwer verschließen können. Der Mensch kann in der Natur geniales leisten – indem er sie in Ruhe machen läßt!
Gebundene Ausgabe (Hardcover): 180 Seiten
Autor:
Werner David
Preis:
14 Euro
Verlag:
pala-Verlag; 2.verb. Auflage 2012
ISBN-10:
978-3-89566-270-6
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